Samstag, 31. Oktober 2009

Von Armut, persoenlichen Krisen und deren Bewaeltigung

Wer in Managua ist, der kann nicht uebersehen, dass Nicaragua ein armes Land ist. Die Armut ist allgegenwaertig, die springt einem ins Gesicht. Heruntergekommene Haeuser, Dreck, Muell, duenne dreckige Kinder in alten, halb zerissenen Klamotten auf der Strasse, die vielen Arbeiter, die versuchen, mit dem Verkauf von Wasser oder Essen einen Lebensunterhalt zu verdienen, die alten, lauten, klappernden Busse, Obdachlose, Flaechen, auf denen Menschen unter Plastikplanen leben und und und... Kommt man mal an einem McDonalds oder einem grossen Supermarkt vorbei, dessen grosses Gebaeude einem fuer einen kurzen Moment ein vertrautes Gefuehl gibt, wird man spaetestens von den in der Naehe wartenden Bettlern wieder erinnert.
Die Armut ist so offensichtlich, wie sie sich jemand, der aus Deutschland kommt, wohl nicht vorstellen kann. So ging es auch mir. In meinen ersten Tagen hab ich mich gefuehlt wie eine Schaulustige. Es war ein aehnliches Gefuehl, wie wenn man an einem vor kurzem geschehenen Unfall vorbeifaehrt. Auch wenn man es nicht will, muss man hingucken in einer Mischung aus Neugierde und Scham eben darueber, dass man nicht wegsehen kann. Man empfindet Mitleid fuer die Opfer, hat aber die noetige Distanz, um es einen nicht zu persoenlich treffen zu lassen. So aehnlich war mein Gefuehl, als ich der Armut hier das erste Mal begegnet bin. Sie ist neu, ungewohnt und nicht zu fassen.
Im Laufe der Zeit veschwindet dieser erste Schock, man gewoehnt sich langsam an den Anblick, hat ihn aber noch lange nicht wirklich an sich herangelassen. In dieser Phase hat mich ein seltsamer Stolz erfasst darueber, dass ich nun weiss, wie gut wir es in Deutschland haben. Dass ich die Erfahrung machen kann, der Armut direkt in der dritten Welt zu begegnen, sie in mich aufzusaugen, um das Leben in Deutschland besser wertschaetzen zu koennen.
Dieser Stolz wurde begleitet von einer Motivation, die ich nicht genau beschreiben kann. Ich wollte dieses errungene Wissen ueber Armut und die Lebensbedingungen hier teilen, es verbreiten, etwas bewegen, in Gang zu setzen und so vielleicht langfristig sogar etwas veraendern zu koennen. Es war nicht so, dass ich dachte, ich kann ernsthaft irgendetwas an der Tatsache drehen, dass die Menschen hier arm sind. Vielmehr kam die Motivation aus dem Wunsch, einigen Menschen zuHause zu verstehen zu geben, die Lebensbedingungen dort nicht als selbstverstaendlich anzusehen.
Dann folgte eine Phase, in der ich die Armut kaum bemerkte. Diese Zeit war insgesamt eine Hochzeit, mir ging es ziemlich gut, eine Art Euphorie hatte mich gepackt. Ich bin innerlich aufgegangen in meinen Projekten, der Kultur, der Sprache, mit den Menschen, die mich umgeben. Wenn ich im Bus sass und durch die Stadt gefahren bin, habe ich die Sonne gesehen, die vielen Baeume und Blumen, das Laecheln der Menschen, ich habe die Musik gehoert, die Waerme gespuert aber die Armut ist an mir abgeprallt. Ich weiss nicht, ob ich einfach eine rosarote Brille aufhatte, ob ich es verdraengt habe oder die schoenen Dinge einfach herausgestochen sind, wahrscheinlich war es fuer diese Phase notwendig.
Jetzt hat sich wieder etwas gewandelt. Ich glaube, ich bin angekommen.
Es ist nichts neues mehr, nicht mehr ungewohnt, nicht mehr so erschreckend... Vielleicht sehe ich die Armut jetzt realiltisch, als das was sie ist. Etwas allgegenwaertiges, nicht zu uebersehen, etwas alltaegliches und auch, dass es keinen Ausweg gibt. Die Menschen, die in Armut leben, koennen ihr nicht entfliehen. Nur die wenigsten. Ausnahmen. Mit viel Glueck. Anonsten gilt.. wer arm geboren wurde, stirbt arm. Ich spreche hier nur von materieller Armut, nicht von Gefuehlen, Werten, Kultur oder aehnlichem. Viele Menschen empfinden ihre Situation vielleicht gar nicht so schlimm, wie sie auf mich wirkt. Sie kennen es ja nicht anders und haben sicherlich auch nicht den Ansatz meiner Ansprueche. Aber mir kriecht sie im Moment in jede Pore, nistet sich ein in meinen Sinnen, meinen Gefuehlen, meinem Kopf. Und das belastet mich ziemlich.
Es deprimiert mich, vielleicht ist das das bessere Wort. Ich will im Moment keine heruntergekommenen Gebaeude und armen Menschen sehen, das gebe ich jetzt mal einfach so zu, auch wenn es ueberheblich klingen mag. Ich wuerde dem so gerne einfach nur ein paar Tage entfliehen, europaeische Haeuser, Menschen, Laeden, Restaurantes sehen. Aber es geht nicht und DAS IST AUCH GUT SO!!
Es ist gut, dass ich mich dem weiterhin stellen muss, dem eben nicht entfliehen kann. Ich denke, wenn ich das ueberwunden habe, vielleicht kann ich sie dann erst richtig begreifen, die Armut.
Bis dahin ist es aber wirklich anstrengend. Und kostet mich viel Kraft. Kraft, die mir dann bei den alltagelichen kleinen Krisen fehlt, die man in einem fremden Land so erlebt. Die ich sonst immer mit Humor genommen habe, die mich jetzt aber manchmal ziemlich aus der Bahn werfen. Bei Krisensituationen in einem fremden Kontext verhalet man sich macnhmal ganz komisch, so, wie man sich gar nicht kennt und was auch echt seltsam wirken muss. Man kann eben nicht auf uebliche Hilfsmittel zurueckgreifen, die man zu Hause hat. Und reagiert voellig anders. Ein Beispiel:
Ih hatte beschlossen, jetzt gut genug Spanisch zu koennen, um die Zeitung zu lesen. Darauf habe ich gewartet, denn Zeitung lesen macht keinen Spass, wenn ich ein Woerterbuch dazu brauche. Also habe ich mich auf den Weg zum Kiosk bzw Strassenverkauf gemacht. Keine Zeitung. Naechster Laden, auch keine Zeitung. Naechster, wieder nix. Da habe ich dann mal nachgefragt, wo man hier sowas wie ne Zeitung bekommen kann. In der naheliegenden Hauptstrasse, hier im Viertel gar nicht. Ich schon echt schlecht gelaunt, stapfe also bei 35 Grad durch die Strassen, auf der Suche nach einer Zeitung. Ein bisschen sah ich bestimmt aus wie Rumpelstilzchen. Ein Laden in der gesamten Hauptstrasse verkauft Zeitungen. Unvorstellbar. Ich hab mich in dem Moment total aufgeregt, wie politikdesinteressiert eine Gesellschaft denn sein kann etc. Man hoert dann auf, vernuenftig zu denken und faengt an, alles auf das Land, die Kulur, die Menschen zu schieben. Im Bus zur Uni wurde ich dann tatsaechlich komisch angeguckt, als ich die Zeitung rausgeholt habe. Ich hab glaub ich noch nie jemanden irgendwo hier in Managua eine Zeitung lesen sehen. Da hatte mich aber schon der Trotz gepackt und ich hab die Zeitung dann demonstativ ausgebreitet und gelesen, so dass es auch jeder sehen konnte und gedacht, die sollen sich alle mal ne Scheibe abschneiden.. Kurz vorm Metrocentro, ein grosses Einkaufszentrum ca ein-zwei Kilometer von der Uni entfernt, war auf einmal eine Polizeisperre und der Bus ist abgebogen in die fuer mich falsche Richtung. Ich bin ausgestiegen und war schon wieder wuetend, was sich zuvor im Bus gelegt hatte. Toll, jetzt darf ich den Rest laufen.
Ich bin losgestapft, es war draussen eigentlich viel zu heiss, um zu laufen aber ich hatte ja keine andere Moeglichkeit. Und schlechte Laune kann einen auch antreiben. Irgendwann hab ich dann gemerkt, dass irgedwas nicht stimmt, weil ueberall Polizei war und weiter hinten konnte ich Rauch sehen. Aussderdem fuhren auf einmal fast keine Autos mehr in Richtung Uni. Ueberall sind junge Leute rumgelaufen, die ihre Gesichter vermummt haben und ab und zu gab es in nicht allzu weiter Ferne einen Knall. Es schien von der Uni zu kommen. Mir entgegen kamen einige Studenten, die ich gefragt hab, was da los ist. So genau wussten sie das auch nicht, aber die Kurse wuerden trotzdem normal stattfinden. Dass kein Mensch in Richtung UNI lief sondern alle von der UNI weg, hat mich ein wenig beunruhigt. Also hab ich ueberlgt, was ich fuer Moeglichkeiten hab, umdrehen? Ja toll und dann? Warten? Dazu isses viel zu warm. Nach Hause? Nicht nach dem ich schon den ganzen Weg gelaufen bin. Da war er wieder, der Trotz, die Wut, die Unzufriedenheit, die mich im Moment so schnell ueberfaellt. Ich bin also weitergelaufen. Vorbei an vermummten Personen, Polizei, brennenden Strassensperren, explodierenden Knallkoepern. Und mitten in Studentenproteste geraten. Ich war so genervt von dem ganzen Tag und vor der ganzen Situation und mittlerweile so trotzig, dass ich gar nicht dran gedacht habe, umzudrehen. ICh bin also weitergestapft und mich hat niemand aufgehalten und das waere auch bestimmt schwierig gewesen, ich war der festen Ueberzeugung, mich jetzt nicht unterkriegen zu lassen. Zum Glueck bin ich heile in der Uni angekommen. Die Proteste waren nur auf der Strasse, auf dem Gelaende war alles normal. Dann musste ich mich erstmal kurz ordnen. Und dachte mir: "Bist du eigentlich voellig bescheuert?" Dass das ganze ja auch gefaehrlich sein kann, daran hab ich nicht gedacht. Laeuft sie da alleine durch gewaltsame Demonstrationen, obwohl alle anderen Leute in die entgegengesetzte Richtung laufen. Lebensmuede? Davon musste ich mich dann erstmal erholen, nachdem ich erkannt hatte, wie riskant das ganze haette sein koennen.
Ich hab meinen Spanisch-Professor gefragt, was da los ist und er meinte, es geht um den geringen Prozentsatz an Geld, den der Staat fuer Universitaeten ausgibt. Und er meinte auch, dass es bei diesen Protesten immer wieder zu Ausschreitungen und Gewalt kommt. Ich hab meine leichtsinnige Trotzaktion mal verschwiegen.
Nach meinem Kurs fuhren die Busse wieder. Ich wollte einfach nur nach Hause, als ich zur Ruhe gekommen bin, hab ich gemerkt, wie anstrengend dieser Tag eigentlich ist.
Der erste Bus, der kam, ist einfach vorbeigefahren, obwohl ich gewunken und hinterhergelaufen bin. Die schlechte Laune hatte mich wieder voll erwischt, obwohl das nun eigentlich kein Weltuntergang ist. Dann kam einfach kein weiterer. Ich kann von der Uni nach Hause nur eine Buslinie nehmen und von der bin ich abhaengig. Ich hab eine halbe Stunde gewartet, es war mittlerweile stockdunkel und dann fuehle ich mich draussen berechtigterweise nicht mehr so wohl. Ich hab die ganze Zeit vor mich hingeflucht und bin fast geplatzt vor wut. Dann hab ich mich auch noch mega erschrocken, als ploetzlich eine total verwahrloste Frau vor mir stand und mich dirakt angestarrt hat mit knallroten Augen, die schwarz unterlaufen waren. Sie haette direkt einem Horrorfilm entstiegen sein koennen. Das war das zu viel. Als der Bus endlich kam, war ich so erschoepft, so wuetend, so fertig mit den Nerven, dass ich nicht wusste, wohin damit. Ich hab nur gedacht "Ich muss hier weg". Und dass bin ich dann auch. Gedanklich. Ich hatte zum Glueck einen Sitzplatz, habe die Augen zugemacht und mir den MP3 Player in die Ohren gesteckt. Eigentlich hoere ich keinen Rock aber in dem Moment hab ich mal EGitarre auf voller Lautstaerke gebraucht, die mir den Kopf zudroehnt. Drei Lieder, dann taten mir die Ohren und der Kopf weh, aber der grossteil der Agressionen war weg. Danach House-musik und in den Gedanken hab ich drei Naechte durchgetanzt, in Hamburg, wo ich mich heimisch fuehle, mit Leuten um mich herum, die meine Sprache sprechen, die mir vertaut sind. Ich bin in Gedanken gefluechtet, war eine halbe Stunde nicht in Nicaragua, hab keine Armut und keinen Muell gesehen, keinen Stadtlaerm gehoert. Ich war in dem Moment nicht mehr in der Lage, mich zu stellen, ich bin gefluechtet. Und das war gut. Als ich die Augen wieder aufgemacht habe, musste ich mich anstrengen, keinen "Rueckfall" zu bekommen aber es ging. Im Haus hab ich dann den Rest des abends gelesen und mich nicht eine Minute mit Nicaragua, meinen Projekten hier oder irgenderwas, was mit dem allem hier zutun hat, beschaeftigt. Eigentlich bin ich gegen Verdraengung von Problemen, aber ich habe den Abstand gebraucht, den kurzen geistigen und gedanklichen Abstand, um mich ueberhaupt stellen zu koennen.
Jetzt geht es etwas besser, aber ich bewege mich vorsichtiger und versuche, Krisen zu vermeiden, weil ich sie in diesen Tagen einfach nicht so gut wegstecken kann. Ich hoffe, dass war verstaendlich, ich hab einfach mal drauflosgeschrieben, ohne darueber nachzudenken, was ich schreibe.

Dieses Wochenende werde ich mit ein paar Maedels vom Casa Samaritana, darunter auch Vanessa, der anderen Freiwilligen, unterwegs sein. Es wird mir sicher gut tun, mich ein bisschen zu amuesieren und mal auf andere Gedanken zu kommen. In Deutschland ist feiern,tanzen und meine Freunde treffen immer mein Ausgleich, dass, was mir hilft, um mich besser zu fuehlen. Das ist zwar nicht das gleiche hier aber ein bisschen Sozialleben kann ja nicht schaden :)
Bis auf die kleine innerliche Krise geht es mir aber gut, ich bin gesund und munter und ausserdem lasse ich mich ja auch nicht so leicht unterkriegen.
Bis bald eure NATI

Sonntag, 25. Oktober 2009

Wochenendgestaltung

Und schon wieder ein Post- endlich klappt es mit dem regelmaessig Schreiben. Das ist jetzt auch der letzte Post, in dem ich Infos der vergangenen Wochen nachholen muss, danach werden meine Eintraege vielleicht auch mal etwas kuerzer :)
Ein Thema zum meinem Uebergangs-Leben in Nicaragua im Allgemeinen fehlt aber noch und das sind die Wochenendbeschaeftigungen. Also erstmal muss ich ganz klar sagen, dass meine zwei freien Tage in der Woche hier deutlich ruhiger verlaufen, als ich es aus Deutschland gewoehnt bin ;) Meinem Koerper tut das mal ganz gut, meiner ueberschwaenglichen Energie weniger, aber es ist auszuhalten.
Die ersten Wochenenden waren ziemlich ruhig, ich habe viel gelesen, geschrieben, in der Sonne gesessen... Und mich am Anfang auch ziemlich gelangweilt. Wiederholte Bitten an Vivi, etwas mit mir zu unternehmen, wurden nicht erfuellt, aus Zeit-, Geld-, oder Lustmangel. Mich hat das frustriert, besonders in den ersten zwei Wochen, in denen ich in der Woche noch nicht so viel zutun hatte und vor allem, weil ich in diesem Sommer in Deutschland einfach mal quasi jeden Tag was unternommen hab. Also auch eine enorme Umstellung.
So im Nachhinein aber finde ich, die Zeit gut genutzt zu haben. Es ist auch mal wichtig, nicht permanent beschaeftigt zu sein, so in der Ruhe und auch in der Einsamkeit findet man ploetzlich einen ganz anderen Zugang zu sich, seinen Gedanken etc., was in einem fremden Kontext von enormer Wichtigkeit ist.
Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass es mir auch gut getan hat, die letzten Wochenenden ein wenig unterwegs zu sein. Ich bin einfach ein aktiver Mensch :)
Was genau ich so gemacht hab, werde ich jetzt in einzelnen Kapiteln berichten.

Granada

Im Casa Samaritana ist vor ca einem Monet eine Freiwillige aus Spanien dazugestossen. Sie ist 28, heisst Vanessa und ist sehr nett. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und so kam es, dass wir zusammen einen Ausflug nach Granada gemacht haben.
Das ist eine huebsche kleine Stadt direkt am grossen Nicaraguasee,
ca eine Stunde mit dem Bus von Managua entfernt. Die Busse fahren alle halbe Stunde und die Fahrt kostet 20 Cordoba, also einen Dollar. Ziemlich unkompliziert.

Granada ist eine echt schoene Stadt mit
vielen alten Gebaeuden und auch wesentlich
touristischer als Managua.
Es war toll, mal aus der alles andere als huebschen Hauptstadt Nicaraguas rauszukommen aber was noch viel angenehmer war, es war ruhig. Da ist mir erstmal aufgefallen, wie waaahnsinnig laut Managua ist.

Der Nicaraguasee ist riesengross und wirkt eher wie ein Meer.
Wen es interessiert.. der Nicaraguasee ist das Gewaesser mit den weltweit einzigen Suesswasserhaien :)
Auch hier war es sehr sehr gruen und mit dem vielen Palmen und tropischen Baeumen am Ufer haette man mir auch erzaehlen koennen, ich bin am Pazifik.
Im Schatten der Baeume haben wir selbstgemachten frischen Saft getrunken und den Tag abgerundet in einer Pizzaria. Aaaaah, ihr koennt euch nicht vorstellen, wie gut eine Pizza Margaritha schmecken kann, wenn man seit ueber einen Monat eigentlich nur Reis und Kochbananen zu sich nimmt. Grossartig, ich bin in der Pizza versunken!!!
Alles in allem war es ein Tag, der sich angefuehlt hat wieBild hinzufügen
Urlaub und ein Ausflug, der sich gelohnt hat.

Ein Wochenende in Honduras
Vorletztes Wochenende bin ich mit Vivi zu ihrer Tante und deren Familie nach Honduras gefahren. Sie leben in Choluteca, das ist gleich im Sueden, nicht weit von der Grenze entfernt, insgesamt waren wir mit dem Bus fuenf Stunden unterwegs. Landschaftlich ist der Sueden von Honduras sehr schoen, es gibt zwar keine Vulkane, wie in Nicaragua, dafuer aber sehr viele Huegel und kleine Berge. Die sind allesamt von Baeumen ueberzogen und sowieso hatte ich den Eindruck, dort ist es noch gruener als in Nicaragua, sofern dass ueberhaupt moeglich ist in der Regenzeit. Durch den meist ziemlich dichten Wald aus tropischen Baeumen schlaegelt sich hier und da ein kleiner Fluss oder Bach und alles ist ziemlich idyllisch.
Der Besuch war eine Ueberraschung und die ist uns auch geglueckt. Wir wurden aber freudestrahlend empfangen. Auch ich wurde sofort umarmt und willkommen geheissen. Einer von den Orten, an denen man sich sofoert zu Hause fuehlen kann. In dem Haus der Tante leben sie und ihr Mann mit ich glaube drei der Soehne, einer lebt auf dem Grundstueck in einem eigenen Haus und die einzige Tochter, Vivis Cousine Armida lebt mit Mann und Sohn ebenfalls in einem anderen Haus auf dem Grundstueck. Alle Kinder von Vivis Tante sind schon erwachsen und Gustavo, der Sohn von Armida, ist sechs Jahre alt. Die ganze Familie ist wahnsinnig herzlich und lieb und auch echt lustig. Samstagabend haben wir zusammen das Spiel Honduras-USA fuer die WM-Qualis geguckt und ich hab natuerlich fleissig fuer Honduras mitgefiebert. Hat zwar nicht viel genuetzt aber sie haben es ja doch noch in die WM geschafft. Sonntag waren wir in der Kirche, ich hab viel Zeit mit Gustavo verbracht (Madagaskar und Findet Nemo auf Spanisch geguckt) und anschliessend wurde mir ein bisschen die Umgebung gezeigt und wir sind abends noch eine Kleinigkeit essen gegangen.
Oooh und das muss ich erzaehlen, ich hab Aasgeier gesehen. Da lag ein toter Hund am Strassenhand und um ihn herum bestimmt 20 Geier. Riesengross sind die. Ich hatte die zuvor nur im Fernsehen gesehen, wenn ueberhaupt, naja zumindest beim Dschungelbuch ;) Auf jeden Fall war ich echt fasziniert, was dann auch fuer allgemeine Belustigung gesorgt hat. Ist da natuerlich selbstverstaendlich und auch notwendig, die raeumen naemlich auf. Und da es in Honduras noch heisser ist als in Nicaragua, sterben da nicht selten Tiere, noch mehr in den Sommermonaten Januar, Februar etc.
Was auch sehr interessant war, war, mal so aus erster Hand ueber die politische Situztion in Honduras zu erfahren. Wer es nicht mitbekommen hat, vor einigen Monaten war ja ein Militaerputsch und Praesident Zelaya wurde gestuerzt und befand sich seitdem im Ausland. Das hat fuer Proteste gesorgt und die Bilder sahen in den Medien echt dramatisch aus. Die Rede war von Verletzten, Toten, Ausgangssperre etc. Ich hab davon einfach mal gar nichts mitbekommen und die Familie hat mir erklaert, dass der Grossteil der Bevoelkerung mit dem Putsch- oder besser mit dem Regierungswechsel (wie sie es nennen) - zufrieden sind. Der ehemalige Praesident Zelaya ist sehr verschwenderisch mit der Staatskasse umgegangen und hat Massen von Geld fuer seinen privaten Luxus ausgegeben. Das ist in einem armen Land wie Honduras natuerlich fatal und sorgt fuer Wut und Frustration in der Bevoelkerung. Lediglich ein kleiner Teil hat ueberhaupt protestiert und bei den Auseinandersetzungen kam es eben zu gewaltvollen Ausschreitungen. Das war aber auch nur in den grossen Staedten wie Tegucigalpa zu spueren, auf dem Land oder in Kleinstaedten geht das Leben voellig normal weiter. Wie es immer eben ist, die Medien zeigen nur die halbe Wahrheit. Dort wo Gewalt, Krawalle, Mord und Totschlag ist, da sind die Journalisten und liefern Bilder und Berichte, aber dass es wo anders voellig entspannt zugeht, das interessiert ja keinen und das will ja auch niemand sehen. Also wird eben nur das gezeigt, was schockiert und verfaelscht dann das Gesamtbild. Im Moment wartet das Land auf die Wahlen im November. Mal sehen, wie sich die Situation dort weiter entwickelt aber auf jeden Fall war es interessant, mal eine andere Version der Geschehnisse zu hoeren.

Insgesamt war es ein wirklich tolles Wochenende mit viiiiel viel familiaerer Atmosphaere, was mir persoenlich total gut getan hat. Hoechstwahrscheinlich und ich hoffe es sehr, werden wir auch noch ein Wochenende dort hinfahren.

Mercado Oriental
Letzten Samstag waren Vivi und ich auf dem Mercado Oriental, dem groessten Markt in ganz Nicaragua. Und der ist wirklich riesig und jemand, der sich da nicht auskennt, duerfte nie im Leben alleine da rein gehen- er wuerde wohl nie wieder rausfinden.
Der Markt ist naemlich nicht offen sondern ueberdacht. Drinnen ist es wahnsinnig eng und voll. Die Gassen zwischen den Staenden und Laeden sind teilweise nur einen Meter breit, dafuer kommen aber auf einen Quadratmeter bestimmt zwei Menschen. Ein Gedraenge ohne Ende. Taschen oder so nimmt man am besten gar nicht erst mit.
Zu kaufen gibt es dort alles, von Essen ueber Cds, Schuhe, Klamotten, Buerobedarf, Dekorationskram, Schmuck, Schnick Schnack. Die Nicas sind mit Weihnachtsvorbereitungen noch frueher dran als wir. Die Laeden sind voll mit Weihnachtsdeko, alles ziiiiemlich kitschig :) Viele Touristen gibt es nicht, eigentlich kaufen dort hauptsaechlich Einheimische, auch solche, die einen eigenen kleinen Laden haben und dann in grossen Mengen auf dem Mercado Oriental dafuer einkaufen. Dementsprechend klein sind auch die Preise. Ein paar hohe Schuhe und zwei Paar flacher fuer umgerechnet zusammen ca 15 Euro, da kann man nicht meckern.
Allerdings war es dafuer auch ziemlich nervig, besonders die maennlichen Verkaufer bei der Kleidung waren horrible. Ich wurde nicht nur angequatscht und versucht, zu ueberreden, neeeein, das hat nicht genuegt. Ich wurde auch festgehalten , umarmt, mir flogen Kuesse zu und so weiter. Stehenbleiben ist natuerlich ein Fehler aber drueber aufregen aendert es auch nicht. Ich hab das ganze einfach mal mit Humor genommen, aber auch dem ein oder anderen einen ruppigen Kommentar zugeworfen. Und einen, der meinen Arm gar nicht mehr loslassen wollte, hab ich dann mal spontan angeknurrt ziemlich laut, der hat sich dann erschrocken und losgelassen, damit hatte er auch nicht gerechnet. Ich war froh, als ich aus dem Getummel nach drei Stunden wieder entflohen war, aber es war auf jeden Fall eine Erfahrung wert.


Dieses Wochenende ist mal wieder entspannt, aber ich geniesse es total, da meine Wochen echt immer ziemlich voll sind. Heute waren wir in der Kirche und haben den Mais gefeiert, das ist hier Tradition am letzten Sonntag im Oktober. Zu Besuch waren heute fuenf Leute aus Deutschland, die beim Bau der Vorschule mitgeholfen haben und auch heute wieder Geld gespendet haben. Ich hab Vivis Worte des Dankes auf deutsch uebersetzt und es war wahnsinnig angenehm, mal wieder angesicht zu angesicht mit jemandem deutsch zu sprechen. Obwohl ich der Meinung bin, dass ich es grade verlerne, denn ich hab dreimal im Gespraech nach dem Gottesdienst ausversehen auf Spanisch geantwortet. uuups :) Aber in Bezug auf meine Fortschritte im Spanischen ist das wohl ein gutes Zeichen.

In diesem Sinne, Hasta pronto

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Alltag in Managua

Haaaallo ihr Lieben,

erstmal eine gute Nachricht: Vivi (siehe Foto) die Frau, bei der ich hier wohne und mit der ich in der Vorschule arbeite, hat endlich nach langer langer Zeit wieder Internet
(mal sehen wie lange). Das heisst, ich kann von zu Hause ins Internet gehen und muss nicht immer ins Internetcafe. Daher kann ich wohl jetzt endlich mal so regelmaessig diesen Blog fuehren, wie ich es gerne moechte. Vorher war das einfach nicht moeglich, weil ich hier rund um die Uhr beschaeftigt bin in der Woche und nur am Wochenende Zeit habe, um ins Internetcafe zu gehen. Und dann will ich natuerlich erstmal Emails lesen und beantworten oder ne Runde skypen. Dazu kommt und das erschwert das Ganze, dass es um 18 Uhr stockdunkel ist und ich dann nicht mehr draussen sein sollte, daher kann ich die Abende nicht nutzen. Aaaaaber, toi toi toi, ich hoffe, uns bleibt das Internet jetzt etwas laenger erhalten.
Die Gelegenheit nutze ich jetzt mal, um ein bisschen ausfuehrlicher ueber meine Projekte zu berichten:

Vorschule
In der Vorschule bin ich immer vormittags. Es ist nur eine kleine Schule, die einer Kirche angehoert. Im Moment besuchen 22 Kinder die Schule und es gibt zwei Klassen. Ich und Vivi unterrichten Nivel 3, also die aelteren (zwischen 5 und 7 Jahre) und Carolina, die andere Lehrerin unterrichtet Nivel 2 (zwischen 4 und 6 Jahre alt).
Die Kinder lernen Lesen, Schreiben und Rechnen und ein kleines bisschen Englisch aber nicht viel, da auch eigentlich weder Vivi noch Carolina englisch sprechen.
Ich konnte dank meiner auch zu Beginn schon ganz soliden
Spanischkenntnisse von Anfang an mit unterrichten,
besonders Mathe und Englisch und mittlerweile mache ich alles, was Vivi auch macht. Wir wechseln uns viel ab und teilen uns die Arbeit. Der Vorteil daran, dass wir zu zweit sind, ist, dass die Kinder intensiver gefoerdert werden koennen. Zum Beispiel hab ich angefangen, denjenigen, die Schwierigkeiten haben, kurze Einzelnachhilfe zu geben. Also zum Beispiel nehme ich mir dann ein Kind raus fuer 20 Minuten und uebe etwas im Intensivtraining. Das bringt total viel, denn einige bekommen von zu Hause so gut wie keine Unterstuetzung
und muessen alles alleine machen.
Oft brauchen sie dann nur jemanden, der es ihnen einmal richtig erklaert und dann klappt es danach schon viel besser. Ausserdem habe ich dann auch immer die Gelegenheit, die Kleinen zu fragen, wie es ihnen geht und ein bisschen mit ihnen zu reden.
Ein Maedchen zum Beispiel hat ziemliche Probleme zu Hause. Die Mutter ist sehr schwieirg, das bekommt man auch schon mit, wenn sie die Kinder morgens zur Schule bringt. Sie ist alles andere als liebevoll und scheint sich auch nicht wirklich zu kuemmern. Das Maedchen hat eine ziemlich ueble Hautkrankheit mit richtigen Beulen, die bluten und eitern und keiner geht mit der Kleinen mal zum Arzt,
weil es anscheinend nicht fuer noetig gehalten wird.
Ich hab ihr dann gesagt, dass ich ihr ein wenig helfen werde,
solange ich hier bin, auch mit den Problemen in der Schule
und dann hat sie angefangen zu weinen. Und seitdem sucht sie total den Kontakt, will oft in den Arm genommen werden oder an meine Hand. Man merkt, wie sehr sie eine erwachsene Bezugsperson braucht, die fuer sie da ist und ihr ein bisschen Liebe gibt. Es ist schoen, dass ich das jetzt ein bisschen uebernehmen kann aber leider ist es eben nur fuer begrenzte Zeit und dann bin ich wieder weg. Vielleicht kann sie aber zumindest in sofern profitieren, dass sie merkt, .es ist auch ein anderer Umgang moeglich.
Abgesehen von einigen traurigen Geschichten wie dieser ist es aber eigentlich immer ziemlich lustig in der Vorschule. Viele von den Kindern sind echt verrueckt und es macht super viel Spass, mit ihnen rumzualbern. Ich lasse da immer meine ganze ueberschuessige Energie und wer mich kennt, der weiss, davon hab ich reichlich :) Wir lachen viel zusammen und die Kinder geniessen es ziemlich, dass eine Erwachsene mal so richtig viel Quatsch macht.

Casa Samaritana
Das andere Projekt mit den Prosituieren bzw Frauen, die irgendwie damit zutun haben, macht ebenfalls sehr viel Spass, ist aber auch deutlich "haerteres Futter". Hier bin ich immer Freitag Nachmittags zu den "Talleres", das sind Seminare mit Frauen und parallel aber seperat voneinander mit Kindern. Die Frauen, die dorthin kommen, sind in der Mehrzahl Angehoerige von Prostituierten aber auch einige direkt betroffene. Es geht bei den Seminaren um alle moeglichen Themen, von Verhuetung ueber psychologische Unterstuetzung etc. Mit den Kindern wird hauptsaechlich gespielt aber parallel auch spielerisch informiert ueber die Gefahr von Drogen etc. Die Kinder hier sind zwischen 1 und 7 Jahren und sehr sehr suess.
Zweimal in der Woche werden Hausbesuche gemacht, da bin ich nicht jede Woche dabei, nur, wenn es etwas gibt, was auch fuer mich interessant ist.
Die intensivste und wohl auch die wichtigste Arbeit des Casa Samaritana ist die Arbeit direkt auf der Strasse. Zweimal die Woche gehen wir abends los und besuchen die Prostituierten auf der Strasse. Dort verteilen wir Kondome und sehen nach, ob alles in Ordnung ist. Wenn wir im Norden Managuas unterwegs sind, koennen wir das Auto nicht verlassen, weil die Gegend sehr gefaehrlich ist. Und die Frauen stehen da die ganze Nacht, teilweise alleine.
In Masaya sind wir auch zu Fuss unterwegs, weil es weniger gefaherlich ist aber trotzdem ist es auch hier sehr hart, was man so mitbekommt, wobei es im Norden noch deutlich schlimmer ist. Drogenabhaengige, Menschen, die am Strassenrand liegen und bei denen man auf den ersten Blick nicht sehen kann, ob sie schlafen oder schlimmeres, Kinder, die kein zu Hause haben und die an Ampeln auf stehebleibende Autos warten, um nach ein bisschen Geld oder Essen zu fragen. Nachts tun sich nochmal ganz andere Abgruende der Armut auf. Fuer mich ist das auf der einen Seite hart, zu sehen und macht mir auch zu schaffen, aber auf der anderen Seite merke ich, wie sehr ich durch diese Erfahrungen reife und wie sehr es mich nachhaltig praegen wird.

Abrupter Themenwechsel:
Neben meinen Projekten, die mich schon zeitlich gut ausfuellen (nach der Arbeit auf der Strasse bin ich oft erst um halb 12 nachts zu Hause) mache ich noch einen Sprachkurs an der Uni. Das Niveau ist eigentlich etwas zu niedrig aber es ist trotzdem immer ziemlich lustig und die ein oder andere Sache kann ich auch noch lernen. Insgesamt sind wir in unserem Kurs zu siebt und aus fuenft verschiedenen Laendern: Ich vertrete Deutschland, drei kommen aus Korea, eine Frau aus Brasilien, eine aus Lybien und eine aus Russland. Alle sind schon erwachsen, ich bin also mit Abstand die juengste aber es ist immer ziemlich lustig. Heute hatten wir ein Examen, die Zwischenpruefung sozusagen und es war echt einfach. War nach 20 Minuten oder so fertig.
Ansonsten klappt es mit den Spanisch schon echt ziemlich gut, gestern dachten zwei Leute unabhaengig voneinander, dass ich aus Spanien komme, weil sie zwar gehoert haben, dass ich einen Akzent habe aber nicht gedachte haetten, dass ich eigentlich eine andere Sprache spreche. Das hat mich sehr gefreut.

In den wenigen freien Stunden am Tag, die mir bleiben, beschaeftige ich mich mit Lesen, Schreiben, Zeichnen, Vokabeln oder aehnlichem. Am Wochenende unternehme ich natuerlich dann mal was, aber das berichte ich das naechste mal. Hab ja einiges an Berichten nachzuholen :)

Auf jeden Fall kann ich nur sagen, dass meine Projekte mich zeitlich und geistig ziemlich ausfuellen und dass ich echt traurig bin, dass meine Zeit in Nicaragua im Dezember schon zu Ende ist. Danach geht es fuer mich weiiter nach Buenos Aires zu Merle, Fenja und Christoph, drei meiner Mit-Freiwilligen vom Nordelbischen Missionszentrum. Dort werde ich dann einen Monat verbringen und danach werden Fenja und ich noch ein bisschen weiterreisen. Es kommt also noch so einiges auf mich zu.

Jetzt hoer ich mal wieder auf zu schreiben aber ich verspreche, der naechste Bericht laesst nicht so lange auf sich warten.

Bis dahin viele liebe Gruesse
Eure Nati