Samstag, 31. Oktober 2009

Von Armut, persoenlichen Krisen und deren Bewaeltigung

Wer in Managua ist, der kann nicht uebersehen, dass Nicaragua ein armes Land ist. Die Armut ist allgegenwaertig, die springt einem ins Gesicht. Heruntergekommene Haeuser, Dreck, Muell, duenne dreckige Kinder in alten, halb zerissenen Klamotten auf der Strasse, die vielen Arbeiter, die versuchen, mit dem Verkauf von Wasser oder Essen einen Lebensunterhalt zu verdienen, die alten, lauten, klappernden Busse, Obdachlose, Flaechen, auf denen Menschen unter Plastikplanen leben und und und... Kommt man mal an einem McDonalds oder einem grossen Supermarkt vorbei, dessen grosses Gebaeude einem fuer einen kurzen Moment ein vertrautes Gefuehl gibt, wird man spaetestens von den in der Naehe wartenden Bettlern wieder erinnert.
Die Armut ist so offensichtlich, wie sie sich jemand, der aus Deutschland kommt, wohl nicht vorstellen kann. So ging es auch mir. In meinen ersten Tagen hab ich mich gefuehlt wie eine Schaulustige. Es war ein aehnliches Gefuehl, wie wenn man an einem vor kurzem geschehenen Unfall vorbeifaehrt. Auch wenn man es nicht will, muss man hingucken in einer Mischung aus Neugierde und Scham eben darueber, dass man nicht wegsehen kann. Man empfindet Mitleid fuer die Opfer, hat aber die noetige Distanz, um es einen nicht zu persoenlich treffen zu lassen. So aehnlich war mein Gefuehl, als ich der Armut hier das erste Mal begegnet bin. Sie ist neu, ungewohnt und nicht zu fassen.
Im Laufe der Zeit veschwindet dieser erste Schock, man gewoehnt sich langsam an den Anblick, hat ihn aber noch lange nicht wirklich an sich herangelassen. In dieser Phase hat mich ein seltsamer Stolz erfasst darueber, dass ich nun weiss, wie gut wir es in Deutschland haben. Dass ich die Erfahrung machen kann, der Armut direkt in der dritten Welt zu begegnen, sie in mich aufzusaugen, um das Leben in Deutschland besser wertschaetzen zu koennen.
Dieser Stolz wurde begleitet von einer Motivation, die ich nicht genau beschreiben kann. Ich wollte dieses errungene Wissen ueber Armut und die Lebensbedingungen hier teilen, es verbreiten, etwas bewegen, in Gang zu setzen und so vielleicht langfristig sogar etwas veraendern zu koennen. Es war nicht so, dass ich dachte, ich kann ernsthaft irgendetwas an der Tatsache drehen, dass die Menschen hier arm sind. Vielmehr kam die Motivation aus dem Wunsch, einigen Menschen zuHause zu verstehen zu geben, die Lebensbedingungen dort nicht als selbstverstaendlich anzusehen.
Dann folgte eine Phase, in der ich die Armut kaum bemerkte. Diese Zeit war insgesamt eine Hochzeit, mir ging es ziemlich gut, eine Art Euphorie hatte mich gepackt. Ich bin innerlich aufgegangen in meinen Projekten, der Kultur, der Sprache, mit den Menschen, die mich umgeben. Wenn ich im Bus sass und durch die Stadt gefahren bin, habe ich die Sonne gesehen, die vielen Baeume und Blumen, das Laecheln der Menschen, ich habe die Musik gehoert, die Waerme gespuert aber die Armut ist an mir abgeprallt. Ich weiss nicht, ob ich einfach eine rosarote Brille aufhatte, ob ich es verdraengt habe oder die schoenen Dinge einfach herausgestochen sind, wahrscheinlich war es fuer diese Phase notwendig.
Jetzt hat sich wieder etwas gewandelt. Ich glaube, ich bin angekommen.
Es ist nichts neues mehr, nicht mehr ungewohnt, nicht mehr so erschreckend... Vielleicht sehe ich die Armut jetzt realiltisch, als das was sie ist. Etwas allgegenwaertiges, nicht zu uebersehen, etwas alltaegliches und auch, dass es keinen Ausweg gibt. Die Menschen, die in Armut leben, koennen ihr nicht entfliehen. Nur die wenigsten. Ausnahmen. Mit viel Glueck. Anonsten gilt.. wer arm geboren wurde, stirbt arm. Ich spreche hier nur von materieller Armut, nicht von Gefuehlen, Werten, Kultur oder aehnlichem. Viele Menschen empfinden ihre Situation vielleicht gar nicht so schlimm, wie sie auf mich wirkt. Sie kennen es ja nicht anders und haben sicherlich auch nicht den Ansatz meiner Ansprueche. Aber mir kriecht sie im Moment in jede Pore, nistet sich ein in meinen Sinnen, meinen Gefuehlen, meinem Kopf. Und das belastet mich ziemlich.
Es deprimiert mich, vielleicht ist das das bessere Wort. Ich will im Moment keine heruntergekommenen Gebaeude und armen Menschen sehen, das gebe ich jetzt mal einfach so zu, auch wenn es ueberheblich klingen mag. Ich wuerde dem so gerne einfach nur ein paar Tage entfliehen, europaeische Haeuser, Menschen, Laeden, Restaurantes sehen. Aber es geht nicht und DAS IST AUCH GUT SO!!
Es ist gut, dass ich mich dem weiterhin stellen muss, dem eben nicht entfliehen kann. Ich denke, wenn ich das ueberwunden habe, vielleicht kann ich sie dann erst richtig begreifen, die Armut.
Bis dahin ist es aber wirklich anstrengend. Und kostet mich viel Kraft. Kraft, die mir dann bei den alltagelichen kleinen Krisen fehlt, die man in einem fremden Land so erlebt. Die ich sonst immer mit Humor genommen habe, die mich jetzt aber manchmal ziemlich aus der Bahn werfen. Bei Krisensituationen in einem fremden Kontext verhalet man sich macnhmal ganz komisch, so, wie man sich gar nicht kennt und was auch echt seltsam wirken muss. Man kann eben nicht auf uebliche Hilfsmittel zurueckgreifen, die man zu Hause hat. Und reagiert voellig anders. Ein Beispiel:
Ih hatte beschlossen, jetzt gut genug Spanisch zu koennen, um die Zeitung zu lesen. Darauf habe ich gewartet, denn Zeitung lesen macht keinen Spass, wenn ich ein Woerterbuch dazu brauche. Also habe ich mich auf den Weg zum Kiosk bzw Strassenverkauf gemacht. Keine Zeitung. Naechster Laden, auch keine Zeitung. Naechster, wieder nix. Da habe ich dann mal nachgefragt, wo man hier sowas wie ne Zeitung bekommen kann. In der naheliegenden Hauptstrasse, hier im Viertel gar nicht. Ich schon echt schlecht gelaunt, stapfe also bei 35 Grad durch die Strassen, auf der Suche nach einer Zeitung. Ein bisschen sah ich bestimmt aus wie Rumpelstilzchen. Ein Laden in der gesamten Hauptstrasse verkauft Zeitungen. Unvorstellbar. Ich hab mich in dem Moment total aufgeregt, wie politikdesinteressiert eine Gesellschaft denn sein kann etc. Man hoert dann auf, vernuenftig zu denken und faengt an, alles auf das Land, die Kulur, die Menschen zu schieben. Im Bus zur Uni wurde ich dann tatsaechlich komisch angeguckt, als ich die Zeitung rausgeholt habe. Ich hab glaub ich noch nie jemanden irgendwo hier in Managua eine Zeitung lesen sehen. Da hatte mich aber schon der Trotz gepackt und ich hab die Zeitung dann demonstativ ausgebreitet und gelesen, so dass es auch jeder sehen konnte und gedacht, die sollen sich alle mal ne Scheibe abschneiden.. Kurz vorm Metrocentro, ein grosses Einkaufszentrum ca ein-zwei Kilometer von der Uni entfernt, war auf einmal eine Polizeisperre und der Bus ist abgebogen in die fuer mich falsche Richtung. Ich bin ausgestiegen und war schon wieder wuetend, was sich zuvor im Bus gelegt hatte. Toll, jetzt darf ich den Rest laufen.
Ich bin losgestapft, es war draussen eigentlich viel zu heiss, um zu laufen aber ich hatte ja keine andere Moeglichkeit. Und schlechte Laune kann einen auch antreiben. Irgendwann hab ich dann gemerkt, dass irgedwas nicht stimmt, weil ueberall Polizei war und weiter hinten konnte ich Rauch sehen. Aussderdem fuhren auf einmal fast keine Autos mehr in Richtung Uni. Ueberall sind junge Leute rumgelaufen, die ihre Gesichter vermummt haben und ab und zu gab es in nicht allzu weiter Ferne einen Knall. Es schien von der Uni zu kommen. Mir entgegen kamen einige Studenten, die ich gefragt hab, was da los ist. So genau wussten sie das auch nicht, aber die Kurse wuerden trotzdem normal stattfinden. Dass kein Mensch in Richtung UNI lief sondern alle von der UNI weg, hat mich ein wenig beunruhigt. Also hab ich ueberlgt, was ich fuer Moeglichkeiten hab, umdrehen? Ja toll und dann? Warten? Dazu isses viel zu warm. Nach Hause? Nicht nach dem ich schon den ganzen Weg gelaufen bin. Da war er wieder, der Trotz, die Wut, die Unzufriedenheit, die mich im Moment so schnell ueberfaellt. Ich bin also weitergelaufen. Vorbei an vermummten Personen, Polizei, brennenden Strassensperren, explodierenden Knallkoepern. Und mitten in Studentenproteste geraten. Ich war so genervt von dem ganzen Tag und vor der ganzen Situation und mittlerweile so trotzig, dass ich gar nicht dran gedacht habe, umzudrehen. ICh bin also weitergestapft und mich hat niemand aufgehalten und das waere auch bestimmt schwierig gewesen, ich war der festen Ueberzeugung, mich jetzt nicht unterkriegen zu lassen. Zum Glueck bin ich heile in der Uni angekommen. Die Proteste waren nur auf der Strasse, auf dem Gelaende war alles normal. Dann musste ich mich erstmal kurz ordnen. Und dachte mir: "Bist du eigentlich voellig bescheuert?" Dass das ganze ja auch gefaehrlich sein kann, daran hab ich nicht gedacht. Laeuft sie da alleine durch gewaltsame Demonstrationen, obwohl alle anderen Leute in die entgegengesetzte Richtung laufen. Lebensmuede? Davon musste ich mich dann erstmal erholen, nachdem ich erkannt hatte, wie riskant das ganze haette sein koennen.
Ich hab meinen Spanisch-Professor gefragt, was da los ist und er meinte, es geht um den geringen Prozentsatz an Geld, den der Staat fuer Universitaeten ausgibt. Und er meinte auch, dass es bei diesen Protesten immer wieder zu Ausschreitungen und Gewalt kommt. Ich hab meine leichtsinnige Trotzaktion mal verschwiegen.
Nach meinem Kurs fuhren die Busse wieder. Ich wollte einfach nur nach Hause, als ich zur Ruhe gekommen bin, hab ich gemerkt, wie anstrengend dieser Tag eigentlich ist.
Der erste Bus, der kam, ist einfach vorbeigefahren, obwohl ich gewunken und hinterhergelaufen bin. Die schlechte Laune hatte mich wieder voll erwischt, obwohl das nun eigentlich kein Weltuntergang ist. Dann kam einfach kein weiterer. Ich kann von der Uni nach Hause nur eine Buslinie nehmen und von der bin ich abhaengig. Ich hab eine halbe Stunde gewartet, es war mittlerweile stockdunkel und dann fuehle ich mich draussen berechtigterweise nicht mehr so wohl. Ich hab die ganze Zeit vor mich hingeflucht und bin fast geplatzt vor wut. Dann hab ich mich auch noch mega erschrocken, als ploetzlich eine total verwahrloste Frau vor mir stand und mich dirakt angestarrt hat mit knallroten Augen, die schwarz unterlaufen waren. Sie haette direkt einem Horrorfilm entstiegen sein koennen. Das war das zu viel. Als der Bus endlich kam, war ich so erschoepft, so wuetend, so fertig mit den Nerven, dass ich nicht wusste, wohin damit. Ich hab nur gedacht "Ich muss hier weg". Und dass bin ich dann auch. Gedanklich. Ich hatte zum Glueck einen Sitzplatz, habe die Augen zugemacht und mir den MP3 Player in die Ohren gesteckt. Eigentlich hoere ich keinen Rock aber in dem Moment hab ich mal EGitarre auf voller Lautstaerke gebraucht, die mir den Kopf zudroehnt. Drei Lieder, dann taten mir die Ohren und der Kopf weh, aber der grossteil der Agressionen war weg. Danach House-musik und in den Gedanken hab ich drei Naechte durchgetanzt, in Hamburg, wo ich mich heimisch fuehle, mit Leuten um mich herum, die meine Sprache sprechen, die mir vertaut sind. Ich bin in Gedanken gefluechtet, war eine halbe Stunde nicht in Nicaragua, hab keine Armut und keinen Muell gesehen, keinen Stadtlaerm gehoert. Ich war in dem Moment nicht mehr in der Lage, mich zu stellen, ich bin gefluechtet. Und das war gut. Als ich die Augen wieder aufgemacht habe, musste ich mich anstrengen, keinen "Rueckfall" zu bekommen aber es ging. Im Haus hab ich dann den Rest des abends gelesen und mich nicht eine Minute mit Nicaragua, meinen Projekten hier oder irgenderwas, was mit dem allem hier zutun hat, beschaeftigt. Eigentlich bin ich gegen Verdraengung von Problemen, aber ich habe den Abstand gebraucht, den kurzen geistigen und gedanklichen Abstand, um mich ueberhaupt stellen zu koennen.
Jetzt geht es etwas besser, aber ich bewege mich vorsichtiger und versuche, Krisen zu vermeiden, weil ich sie in diesen Tagen einfach nicht so gut wegstecken kann. Ich hoffe, dass war verstaendlich, ich hab einfach mal drauflosgeschrieben, ohne darueber nachzudenken, was ich schreibe.

Dieses Wochenende werde ich mit ein paar Maedels vom Casa Samaritana, darunter auch Vanessa, der anderen Freiwilligen, unterwegs sein. Es wird mir sicher gut tun, mich ein bisschen zu amuesieren und mal auf andere Gedanken zu kommen. In Deutschland ist feiern,tanzen und meine Freunde treffen immer mein Ausgleich, dass, was mir hilft, um mich besser zu fuehlen. Das ist zwar nicht das gleiche hier aber ein bisschen Sozialleben kann ja nicht schaden :)
Bis auf die kleine innerliche Krise geht es mir aber gut, ich bin gesund und munter und ausserdem lasse ich mich ja auch nicht so leicht unterkriegen.
Bis bald eure NATI

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