Mittwoch, 18. November 2009

Kinder ohne Kindertraeume

Hoooooooola,

so Farina ist wieder weg, meine Erkaeltung auch fast. Das war echt doof, ausgerechnet an diesem Wochenende krank zu werden, weil wir unseren Trip an den Pazifik nicht machen konnten, wie schaaade. Aber trotzdem waren es total coole Tage mit ihr. Erstens war es interessant, mal wieder deutsch zu reden :) aber auch einfach mit jemanden, den man schon kennt, ein bisschen die Erfahrungen hier teilen zu koennen, war einfach groooosartig. Viel zu erzaehlen gibt es aber nicht vom letzten Wochenende, also komme ich jetzt zu was traurigem ( was fuer ne Traum- Ueberleitung hahahah).

Ich beteilige mich an einem Projekt einer jungen Lehrerin aus Deutschland, die ihren Schuelern zeigen moechte, wie andere Kinder in allen moeglichen Teilen der Welt leben. Eigentlich habe ich zwar auch so genug zu tun die letzten zwei Wochen, aber ich finde dieses Projekt total toll und mir haette das als Kind supergut gefallen, deshalb mache ich da trotz mangelnder Zeit mit. Ich bin ja stressresistent.
Um mir einen kleinen Leitfaden zu geben, hat sie mir einige Fragen geschickt, die ich den Kindern stellen kann. Das habe ich dann heute gemacht.
Zuerst hab ich mir zwei Maedchen geschnappt, Rosmery und Luzdary (ich dachte mir, bei Jungs und Maedels in dem Alter gibt es ja manchmal Hemmschwellen, deshalb mache ich das besser getrennt) und das ganze ein bisschen als Spiel verpackt. Ich war die Reporterin von einer Zeitung und die beiden ganz wichtige Leute, ueber die unbedingt die ganze Welt was erfahren muss. In Wirklichkeit wussten sie schon, dass es fuer Kinder in Deutschland ist, aber so hatten sie total viel Spass an der Idee und waren gleich Feuer und Flamme. Angefangen hab ich mit "harmlosen" Fragen, wie Geschwister, Haustiere, Alltag, welche Spielsachen sie haben etc. Es hat sich bald rausgestellt, dass die beiden, wie ich glaube, ein relativ grosses Vertrauen schon zu mir haben, weil sie total offen waren und wir auch schnell auf schwierige Themen zu sprechen kamen. Das sind dann immer wieder Momente, in denen ich staune, wie reif ein 6 jaehriges Kind schon sein kann. Aber dabei sind eben auch ganz traurige Sachen ans Licht gekommen, die mich ziemlich beschaeftigen.
Von Luzdary hatte ich glaube ich schonmal erzaehlt, das ist das Maedchen, von dem ich schon wusste, dass sie in schwierigen Verhaeltnissen lebt. Ihre Mutter scheint ziemlich streng und wenig liebevoll zu sein, die Familie ist extrem arm, sie selbst ist von einem anderen Vater als ihre kleinen Schwestern, sowohl sie als auch ihre Schwester haben eine Hautkrankheit, gegen die aber niemand in der Familie was tut etc. Es gibt sicher noch mehr Dinge, die ich aufzaehlen koennte. Schon, als ich nach ihrer Wohnsituation gefragt habe, wurde mir dann klar, dass sie NOCH aermer sind, als ich gedacht haette. Das Haus hat zwei Zimmer, fuer fuenf Personen und das heisst nicht wie in Deutschland PLUS Kueche und Bad. Sie selbst schlaeft in einer Wiege, wobei sie eigentlich dafuer schon zu gross sein muesste. Eine Kueche haben sie gar nicht, nur eine Feuerstelle draussen. Dass es kein fliessend Wasser gibt, muss ich glaub ich nicht extra erwaehnen. Dann leben sie auf engstem Raum mit Huehnern, Kuehen und Schweinen, es koennte sein, dass daher auch die Hautkrankheit kommt.. Nach der Schule sieht sie nur fern, mit der Ausnahme, dass sie einmal am Tag zum Strassenverkauf geht, um Sachen einzukaufen, die ihre Eltern ihr auftragen. Ansonsten macht sie bis zum Schlafengehen nix anderen. Das ist, wie ich finde, schon ziemlich traurig aber lange noch nicht alles. Ich hab sie naemlich dann gefragt, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt. Sie moechte gerne studieren und dann Aerztin oder Polizistin werden. Auf die Frage, ob sie denn auch heiraten und Kinder haben moechte, hat sie so entschieden mit NEIN geantwortet, dass ich schon hellhoerig geworden bin und dachte "gut, jetzt vorsichtig, weil es jetzt persoenlich wird fuer sie, aber da musst du nachhaken". Also hab ich sie gefragt, ob sie findet, dass eine Frau, die alleine lebt, besser dran ist. Die Antwort war "ja". "Warum", habe ich gefragt.
-"Weil es dann keinen Mann gibt, der sie misshandeln und schlagen kann".
-"Passiert das in deiner Familie?"
-"Ja, mein Vater schlaegt meine Mama oft"
-"Und schlaegt er auch dich und deine Schwestern?"
Dass die Antwort auch hier wieder ja sein wird, hab ich mir schon vorher gedacht. Da musste ich schon schlucken. Bei Rosmery hat das Ansprechen dieses Themas anscheinend auch was geloest, denn sie hat dann eingeworfen, ihr Vater wuerde ihre Mutter auch schlagen. Das hat mich dann nochmal schockiert, weil ich eigentlich immer dachte, dass Rosmery aus ganz guten Verhaeltnissen kommt und sie auch einfach ein so froehliches, aufgewecktes Kind ist. Die Wahrheit sieht anders aus. Ihre Eltern sind eigentlich tagsueber nie zu Hause weil sie arbeiten, bei ihr ist dann ihre Tante und auch in dieser Familie findet haeusliche Gewalt statt.
Meine letzte Frage an die beiden war, was denn ihr groesster Wunsch waere. Wenn man eine solche Frage an zwei sechsjaehrige Maedchen richtet, dann erwartet man Antworten wie "Mal das Meer zu sehen, mal in einem grossen Haus leben, Spielsachen fuer 10000 Cordoba einkaufen, ein eigenes Pferd, etc." Aber nein, die Traeume dieser Maedchen sehen anders aus:

Rosmery sagt, die hat nie Traeume, ausser wenn ihr Vater ihre Mutter schlaegt, dann wuenscht sie sich nichts mehr, als dass er damit aufhoert und es nie wieder macht.

Luzdarys Traum ist es, zu studieren und eine gute Arbeit zu haben, mit der sie Geld verdient, das sie ihrer Mutter geben kann, damit ihre kleinen Schwestern keinen Hunger mehr haben muessen. Und ihr anderer Traum ist es, dass ihre Schwester gesund wird.
Ich habe sie dann gefragt, ob sie sich das nicht auch fuer sich wuenscht, weil sie doch die gleiche Krankheit hat, da meinte sie nur, das sei ihr egal, wichtig ist, dass ihre kleine Schwester gesund wird.

Ich hab mir das vor den Maedchen natuerlich nicht anmerken lassen, aber das war schon harte Kost. Man erwartet von einem sechsjaehrigen (!!!) Kind niemals eine solche Reife. Das Problem ist, dass es zwar wohl auch ein wenig mit ihrem Charakter zutun hat, aber eine solche pessimistische und irgendwie auch realistische Weltanschauung zeigt doch vor allem, dass diese Kinder im Grunde keine Kinder sein duerfen zu Hause. Was ich da bekommen habe heute, ist ein ganz anderer Einblick in ihr Leben. In der Schule sind sie eben Kinder, spielen, lachen, sind laut und manchmal anstrengend, wollen nicht lernen, albern rum.. wie man sich Kinder eben vorstellt. Aber zu Hause sieht das ganz anders aus... Mit sechs Jahren keine kindlichen Traeume zu haben, dass ist irgendwie unfassbar heftig. Wenn ich versuche, mich zurueck zu erinnern, wie ich mit sechs Jahren war oder auch, wenn ich mir die Kinder vorstelle, die ich aus Deutschland in diesem Alter kenne, dann ergibt sich da ein voellig anderes Bild. Sind Kinder in diesem Alter nocht normalerweise unbedarft, haben Traeume und eine wundervolle kindliche Naivitaet? Und sollte es nicht auch so sein?

Am Dienstag werde ich die beiden zu Hause besuchen, ich bin gespannt, was ich da so zu sehen bekomme.
Auch wenn mir dieses Gespraech heute schon ein wenig zu denken gibt, bin ich total dankbar dafuer. Zum einen fuer das Vertrauen, dass die Kleinen mir entgegengebracht haben und zum anderen, weil es mir wieder einmal einen Einblick in so viele Dinge ermoeglicht hat. Zum einen in die Menschen, denn ich weiss, dass haeusliche Gewalt hier keine Seltenheit ist, aber es aus dem Mund von zwei kleinen Maedchen zu hoeren, die damit leben, ist nochmal etwas ganz anderes.
Zum anderen zeigt es aber soviel ueber die Psyche der Kinder, wie praegend die familiaere Situation ist, sie stark die Kindheit davon abhaengig ist, und wie sehr es die Entwicklung der Kinder beeinflusst. Da hoer ich jetzt auf, weil es sehr psychologisch ist. Das ist fuer mich zwar waaaaahnsinnig interessant aber fuer viele bestimmt auch langweilig und da ich darueber jetzt einen Roman hier schreiben koennte, hoere ich lieber rechtzeitig auf. Wer mehr darueber wissen will, soll Bescheid sagen und kann sich gerne mit mir in einer stundenlangen Disskussion darueber verlaufen :)
Aber Spass beiseite. Das war schon ein wirklich besonderes Gespraech und ich habe unter anderem auch gemerkt, wie sehr es mich reizen wuerde, mit Kindern zu arbeiten. Also auch, wenn ich mir ueber meine berufliche Zukunft Gedanken mache. Es macht mich traurig, dass ich diesen Maedchen nicht helfen kann, denn in zwei Wochen bin ich nicht mehr hier. So wie es eben mit Freiwilligen ist. Ich kann nur einen Einblick bekommen, vielleicht ein bisschen ihre Situation kennen und verstehen lernen und die Erfahungen nach aussen tragen, unter die Leute bringen, so wie ich es grad tue. Auf diese Weise werden vielleicht ein paar mehr Leute wach, und halten sich wieder mal vor Augen, wie gut wir es in Deutschland haben.
Das heisst nicht, dass es nicht auch dort Kinder in schwierigen Situationen oder haeusliche Gewalt gibt. Das will ich damit auf keinen Fall sagen. Aber ich behaupte, das Armut solche Probleme foerdert. Ich versuch das mal zu erklaeren:
Aus Armut folgt zum Beispiel Abhaengigkeit. Viele Frauen hier haben rein wirtschaftlich gesehen ueberhaupt keine Moeglichkeit, sich von ihrem Mann zu trennen, auch wenn sie misshandelt werden. Da gibt es zum Beispiel ganz andere Moeglichkeiten.
Auch auf staatlicher Ebene. Nicaragua ist einfach ein verdammt armes Land. Wenn in Deutschland ein Kind von den eignenen Eltern bis zum Tode misshandelt wird, dannwird das zum Beispiel oft als gravierender, wahnsinnig trauriger Fehler des Jugendamtes tituliert. Hier gibt es nichtmal ein vergleichbares Amt, das die selben Moeglichkeiten hat wie in Deutschland. Was hier Familienintern alles an Misshandlung, Vergewaltigung etc passiert, kann niemand genau wissen und auch niemand wirklich herausfinden.
Wenn in Deutschland ein Kind zur Polizei gehen wuerde und erzaehlen wuerde, in was fuer schlechten Verhaeltnissen es lebt, mit Gewalt und so weiter, dann wuerde sowohl der Staat, als auch die Presse Alarm schlagen. Hier hat man andere Probleme. So hart es klingt.
Deutschland ist so geordnet, so reich und wohlstaendig, dass man Moeglichkeiten hat, Kinder in solchen Situationen zu unterstuetzen und sie im Notfall dem Einfluss der Eltern zu entziehen. Dafuer gibt es Heime oder Pflegefamilien.
Nicaragua viel ungeordneter, die Situation ist instabil, der Staatsapparat korrupt und es fehlt vorne und hinten an Geld.
Bei der Menge an Strassenkindern, die ueberhaupt kein zu Hause haben, kann sich niemand um Kinder kuemmern, bei denen es zu Hause nicht so gut aussieht. Sollen sie froh sein, dass sie ein Zuhause und etwas zu essen haben.
Manchmal ist die Wahrheit echt deprimierend aber ich musste das grade mal aussprechen.

Morgen versuche ich, mal wieder ein paar Fotos online zu stellen und ich hoffe, der naechste Post wird wieder froehlicher..

Es gruesst euch, eure Natiiii

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